ADHS: Forschung in der Sackgasse

Lieber kranke als unglückliche Kinder?

ADHS: Forschung in der Sackgasse

Pressemitteilung 12/2016

ADHS: FORSCHUNG IN DER SACKGASSE
Lieber kranke, als unglückliche Kinder?

Wie kürzlich bekannt wurde, fördert die Europäische Union ein Forschungsprojekt unter Federführung des Frankfurter Universitätsklinikums mit 6 Millionen Euro, das mittels einer internationalen Studie die „Mechanismen hinter der Aufmerk-samkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und damit gemeinsam auftretenden Erkrankungen offenlegen und damit die Diagnose und Behandlung psychischer Störungen revolutionieren“ und zu einer „Zeitenwende in der ADHS-Behandlung“ führen will. Wahrlich wieder einmal große Worte! Doch können sie die Versprechungen halten?
Die Forschung zu ADHS, der sog. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, umfasst inzwischen mehrere hunderttausende Studien, ohne dass bis heute auch nur annähernd Klarheit darüber bestünde, was Ätiologie und Nosologie dieser „fabrizierten Krankheit“ (Eisenberg) anbelangt. Auch der renommierte Kliniker Jerome Kagan stellte 2012 fest, dass ADHS eine „Erfindung“ ist. Bereits 2008 konstatierte die amerikanische Forscherin Lydia Furman nach einer umfangreichen Analyse von zusammenfassenden Studien, Konsens-erklärungen, „White Papers“ und Ergebnissen professioneller Tagungen, dass die Forschungsergebnisse zur genetischen oder neuroanatomischen Ursache für ADHS ungenügend seien. Untersuchungen zeigten, dass Defizite der Exekutivfunktionen ADHS nicht erklären können und dass die psychometrischen Eigenschaften der weithin verwendeten Ratingskalen nicht den Standards genügen, die zur Messung einer Störung erfüllt sein müssen. Es sei unwahrscheinlich, dass eine eigenständige Störung ADHS überhaupt existiere. Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität seien vielmehr Symptome vieler verschiedener behandelbarer medizinischer, emotionaler und psychosozialer Einflüsse, die Kinder betreffen können (Furman 2008). An dieser Analyse Furmans hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert.
Immer wieder wurden in der Vergangenheit bei ADHS große Versprechungen gemacht, die sich nicht halten ließen: Die behauptete hohe Erblichkeit von ADHS ist angesichts der schwachen Methodik der früheren Familien- und Zwillingsforschung sehr zweifelhaft. Die Suche nach einem ADHS-Gen verlief im Sande, und die bis heute bekannte Genbeteiligung am Symptomkomplex „ADHS“ ist nicht kausal erklärend, unspezifisch, sehr schwach und die so wichtige Epigenetik völlig ignorierend.
Es gibt keinerlei spezifischen biologisch-physiologisch-morphologischen Marker für die Diagnose der angeblich körperlichen Krankheit, die behaupteten Transmitterstörungen im Gehirn sind nicht belegt. Die enorme Überlappung des Syndroms mit einer ganzen Reihe anderer Störungen belegt seine Unspezifität. Das hat sogar der renommierte ADHS-Forscher Banaschewski schon vor 10 Jahren feststellen müssen, als er bei Vergleichen von ADHS mit anderen neuropsychologischen, neurobiologischen und genetischen Korrelaten den ernüchternden Schluss ziehen musste, dass es bisher keine ADHS-Spezifität gibt. Das ist auch heute state of the art. Auf Deutsch: ADHS gibt es gar nicht.
In Wahrheit weiß niemand, was ADHS als spezifische Krankheit sein soll und ob es sie überhaupt gibt. Es handelt sich im Grunde nur um ein willkürliches Konglomerat von kindlichen Verhaltensweisen, das ohne Einbezug kultureller und psychosozialer Differenzierungen per Konsens interessierter Verbände und Pharmafirmen als medizinische Krankheit in die Welt gesetzt wurde.
Die biologistische Psychiatrie und ADHS-Forschung unserer Tage blendet nach wie vor die schlichte Erfahrung völlig aus, dass auffälliges Kinderverhalten psychoreaktiv sein kann, Ausdruck psychosozialer Not und seelischen Leidens. Man erforscht lieber das „zelluläre Hintergrundrauschen“ im Gehirn unserer Kinder, legt sie in den Computertomographen, misst die Dicke ihrer Hirnrinde und lässt sie erhebliche Mengen starker Psychostimulanzien schlucken, als empathisch ihre gesellschaftlich-familiären Alltagsbelastungen zu reflektieren und zu behandeln. Man hat wohl lieber kranke, als unglückliche Kinder.
Solange die ADHS-Forschung diesen blinden Fleck pflegt, ist sie völlig in der Sackgasse. Die angekündigte Studie bewegt sich leider wieder auf dieser unglücklichen Schiene.

Quellen:
Furman L.M. Division of General Academic Pediatrics, Rainbow Babies and Children’s Hospital, Cleveland, Ohio 44106, USA: Attention-deficit hyperactivity disorder (ADHD): does new research support old concepts? J Child Neurol.2008 Jul;23(7):775-84
Banaschewski, T. u.a.: Towards an understanding of unique and shared pathways in the psychopathophysiology of ADHD. Dev Sci. 2005 Mar;8(2):132-40.
Kagan, J.: ADHS ist eine Erfindung. In: DER SPIEGEL 31, 2012, S. 95
Eisenberg, L.: ADHS ist eine fabrizierte Krankheit. In: DER SPIEGEL 06/2012

v. i. S. d. P.:
Hans-Reinhard Schmidt
Konferenz ADHS
Sebastianstr. 171
53115 Bonn
www.adhs-konferenz.de

KONFERENZ ADHS ist ein freier, unabhängiger Non-Profit-Zusammenschluss von Fachleuten zum Thema ADHS

Kontakt
Konferenz ADHS
Reinhard Schmidt
Sebastianstr. 171
53115 Bonn
0228-54888650
konferenz-adhs@online.de
http://www.adhs-konferenz.de