Bericht – Parlamentarischer Abend Substitutionstherapie

Reform der Betäubungsmittel-Verschreibungs-Verordnung (BtMVV) auf dem Weg

Bericht - Parlamentarischer Abend Substitutionstherapie

Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien sprachen sich für eine BtMVV-Reform aus (Bildquelle: Jürgen Sendel @ Pictureblind)

Sanofi und die Deutsche Stiftung für chronische Kranke hatte Politiker, Fachgesellschaften, Ärzte sowie Vertreter von Selbstverwaltung und Patienten zum zwölften Parlamentarischen Abend nach Berlin eingeladen. Die Parlamentarier aller Fraktionen und die Fachvertreter waren sich weitgehend über Reformbedarf und -inhalte der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Durchführung der Substitutitonsbehandlung einig: Ärzte sollen bei der Behandlung opiat-/opioidabhängiger Patienten bezüglich Therapieziel, Beikonsum und Mitgabe mehr Spielraum bekommen. Änderungen der strafbewehrten Vorschriften sollen den Ärzten Rechtssicherheit geben und eine erweiterte Konsiliarregelung die Versorgung in der Fläche verbessern. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler, die persönlich nicht anwesend war, ließ in einem Brief verlauten, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Diskussionsentwurf für die BtMVV-Reform erarbeitet hat, in dem auch die Vorschläge aus dem „Sieben-Punkte-Papier“ der Fachgesellschaften aufgegriffen werden. Der BMG-Entwurf wird gerade mit anderen Ministerien abgestimmt. Die Abgeordneten der Regierungsparteien und der Opposition versprachen, den Druck auf das BMG aufrechtzuerhalten.

Quo vadis Substitutionstherapie

Dr. Thomas M. Helms, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke, stellte das wissenschaftliche und politische Engagement der Stiftung im Bereich der Substitutionstherapie vor. Die Stiftung hat mit der Subscare-Studie von 2013 eine interdisziplinäre epidemiologische Studie uber die Verlaufsdynamik langjährig substituierter chronisch kranker Suchtpatienten in Deutschland vorgelegt. Helms gehört auch zu den Unterzeichnern des Sieben-Punkte-Papiers. In dem Mitte 2015 an das BMG übermittelten Papier, formulieren die führenden Fachgesellschaften und Persönlichkeiten aus der Suchttherapie gemeinsam ihre BtMVV-Reformvorschläge. Dr. Wolfgang Kapfer, Sanofi, zeigte sich erfreut, zum zwölften Mal die Akteure der Suchtpolitik für einen direkten Austausch zusammengebracht zu haben und verwies auf die gemeinsamen Erfolge: mehr Patienten in Behandlung, weniger Infektionen, geringere Mortalität und gesunkene volkswirtschaftliche Kosten. „Es ist Bewegung in der Politik“, stellte Kapfer fest und formulierte die Hoffnung, noch „bis zur nächsten Sommerpause des Bundestages“ Ergebnisse sehen zu können. Er bedauerte die Abwesenheit der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, deutete ihr schriftliches Statement als positives Zeichen für die Zukunft. Sie hatte schriftlich mitgeteilt, dass das BMG auf Arbeitsebene einen Entwurf für die BtMVV-Reform entwickelt hat, „in dem die relevanten Aspekte der eingereichten Vorschläge weitgehende Berücksichtigung finden dürften.“ Mit der Reform, so Kapfer, verschwinden aber nicht alle Probleme. Akute Versorgungsengpässe, insbesondere in Seniorenheimen und JVAs, und die mangelhafte Verknüpfung von Therapieelementen seien große Herausforderungen.

Die Regierungsparteien zeigen sich engagiert

Emmi Zeulner, CSU-Abgeordnete und ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin, kennt die Herausforderungen der Patientenversorgung im ländlichen Raum aus ihrem fränkischen Wahlkreis Kulmbach. Sie verwies auf einen Handlungsleitfaden zur Änderung des Betäubungsmittelrechts, den die CDU/CSU-Fraktion bereits vor einem Dreivierteljahr der Bundesregierung vorgelegt hat. In dem Leitfaden werden insbesondere eine gelockerte Take-Home-Regelung, höhere Höchstverschreibungsmengen und die Abschichtung der strafrechtlichen Bestimmungen empfohlen. „Substitutionsrecht ist ein Verordnungsrecht, deswegen hat das Parlament wenig direkten Einfluss“, stellte Zeulner fest. „Aber wir können nachfragen und Druck ausüben.“ Die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar unterstützte ihre Koalitionskollegin, mit der sie auch gemeinsam im Gesundheitsausschuss sitzt. „Die bestehenden Regelungen sind nur bedingt alltagstauglich“, weiß die Ärztin. „Für eine patienten- und ärzteorientierte Substitutionstherapie müssen BtMVV und BtMG zügig angepasst werden. Wir sind froh, dass die Regierung da auf dem richtigen Weg ist. Allerdings habe ich wenig Verständnis für die lange Bearbeitungszeit im Ministerium, denn an der Basis brennt“s!““

Die Opposition lobt und mahnt zur Eile

Die Linke wurde durch Frank Tempel vertreten, der im parteiübergeifenden Konsens einen der wesentlichen Erfolge der letzten Jahre sieht. „Wir als Opposition müssten eigentlich die Regierung kritisieren, aber da bewegt sich wirklich etwas.“ Dr. Harald Terpe, drogen- und suchtpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und selbst Mediziner, stimmte in den positiven Grundtenor ein, mahnte aber auch zur Eile. „Bereits 2012 haben die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin, die Deutsche AIDS-Hilfe und akzept umfassende Reformvorschläge vorgelegt. Die Bundesregierung muss nun endlich handeln, bevor die Versorgungsengpässe noch größer werden.“

Rasante Entwicklungen in Bayern

Dr. Heidemarie Lux, Vizepräsidentin der Bayerischen Landesärztekammer, beschrieb in ihrem Vortrag die positive Entwicklung der bayerischen Substitutionspolitik in den letzten Jahren. Ausgelöst durch Prozesse gegen substituierende Ärzte wegen Verstoßes gegen Bestimmungen der BtMVV, mit Approbationsentzug, Durchsuchung von Praxen und Gefängnisstrafen, drohten die substituierenden Ärzte, kollektiv ihre Tätigkeit niederzulegen. Die Ärzte hatten auszubaden, was nicht schlüssig zwischen ärztlichen Behandlungsrichtlinien einerseits und gesetzlichem Abstinenzgebot oder Mitgabeverbot andererseits geregelt ist. „Man muss sich das mal bildlich vorstellen. Kripo-Beamte haben Praxen durchsucht, die nach therapeutischen Erfordernissen behandelt haben. Der Zustand war untragbar“, erinnert sich Lux. Als Folge des ärztlichen Protests und zur Sicherstellung der Versorgung der Substitutionspatienten wurde der Runde Tisch „Rahmenbedingungen der Substitution“ im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege wieder aktiviert. Erste Maßnahmen zur Verbesserung der Situation wurden eingeleitet – wie etwa die Fortbildung von Staatsanwälten und Ärzten im öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Bayerische Landesärztekammer wirbt zudem auf politischen Veranstaltungen um die Änderung der BtMVV und kooperiert diesbezüglich mit der Bundesärztekammer. „Früher war Bayern der Behinderer in der Substitutionstherapie, heute sind wir die Vorreiter“, resümiert Lux.

Neuer Vorstoß im Schulterschluss

Prof. Markus Backmund, 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS), ging in seinem Vortrag näher auf das Sieben-Punkte-Papier aus der Substitutionspraxis ein. In dem Papier haben DGS, DG-Sucht, die Deutsche Stiftung für chronisch Kranke, akzept, die Deutsche Aidshilfe und Vertreter der Bundesärztekammer gemeinsam sieben zentrale Reformvorschläge für die BtMVV formuliert und an die Politik übermittelt. Die Vorschläge beinhalten grundlegende Änderungen bezüglich der bislang strikt an Abstinenz orientierten Zielsetzung und einer absoluten Beikonsumfreiheit. Beide sind nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft wenig therapieförderlich, aber Grund für Verurteilungen von Ärzten auf Basis von veralteten Gesetzen, des BtMG aus 1971 und der BtMVV aus 1998. Nach heutigem Wissensstand gilt aber die Sicherstellung des Überlebens als Primärziel der ärztlichen Behandlung. Gefordert werden weiterhin eine Anpassung der Vergabe- und Mitgaberegelungen des Substitutionsmittels, um den Lebensbedingungen stabil eingestellter und berufstätiger Patienten entgegenzukommen. Die Psychosoziale Begleitung soll enger an die therapeutischen Erfordernisse angepasst werden. Das Verbot des Beikonsums muss gestrichen werden. Zusätzlicher Konsum psychotroper Substanzen weist in der Regel auf zusätzliche psychiatrische Krankheiten hin. Backmund betonte, dass zukünftig therapeutische klar von juristischen Aspekten zu trennen sind. „Medizinisch-therapeutische Tätigkeiten gehören nicht in die BtMVV. In der BtMVV ist nur zu regeln, was der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs dient. Zur Regelung der therapeutischen Arbeit sind die ärztlichen Richt- und Leitlinien maßgeblich“, pochte er auf die ärztliche Therapiefreiheit. Zugleich registriert Backmund, der als niedergelassener Substitutionsarzt die Praxiswirklichkeit gut kennt, Fortschritte: „Es gibt einen breiten Konsens und die Atmosphäre hat sich geändert.“ Der politische und zivilgesellschaftliche Konsens müsse nun aber auch zügig in eine Novellierung der Verordnung überführt werden. Nach der Reform, so mahnte Backmund, sind weitere Schritte notwendig, wie die entsprechenden Änderungen der Richt- und Leitlinien durch Bundesärztekammer und Selbstverwaltungsgremien sowie die grundlegende Änderung des Betäubungmittelgesetzes.

Die Notwendigkeit der Vernetzung

Prof. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences lenkte die Aufmerksamkeit der Gäste auf ein bisher wenig beachtetes Thema: die Vernetzung in der Substitutionsbehandlung. Die Gestaltung wichtiger Schnittstellen in der Substitutionstherapie, so Stöver, ist zwar in den Richtlinien der Bundesärztekammer formuliert, aber in der Praxis nicht richtig umgesetzt worden. „Gerade die Risiken in Haft und nach der Haftentlassung sind sehr hoch“, gibt Stöver zu bedenken. Nur zehn Prozent der Heroinabhängigen werden in Haft behandelt. Daraus erwachsen viele Probleme, auch beim Wechsel zurück in die Freiheit, wo die Gefahr von Überdosierungen durch die zuvor erzwungene Abstinenz steigt. Problematisch ist laut Stöver aber nicht nur ein Wechsel aus einer stationären Unterbringung, wie Justizvollzugsanstalt, Krankenhaus oder Rehabilitationseinrichtung zurück in die Arztpraxis. Auch die verschiedenen Lebensbereiche eines Substituierten sind unzureichend in die Behandlung integriert. „Teilweise wird um Milligramm bei der Dosierung gefeilscht, während die wirklich wichtigen Fragen, etwa nach einer Wohnung und einem Job, ungeklärt bleiben.“ Den Schlüssel zum Erfolg sieht Stöver in einem verbesserten nationalen und internationalem Austausch zu erfolgreichen Ansätzen des Übergangsmanagements und der konsequenten Schulung von etwa Gefängnisärzten und Sozialarbeitern.

Aus Sicht der Betroffenen

Nachdenklich machten an diesem Parlamentarischen Abend die Worte von Renate Auer, Vorsitzende der Baden-Württembergischen Landesvereinigung für Eltern-/Angehörigenkreise Drogenabhängiger und Drogengefährdeter. „Ein drogenabhängiges Kind zu haben, geht allen psychisch und physisch an die Substanz. Die ganze Familie leidet darunter“, beschrieb sie den Leidensdruck der Betroffenen. Sie stellte die Ergebnisse einer Befragung substituierter Patienten vor, die die Eltern mit Unterstützung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands 2014 durchgeführt haben. Die Auswertung der 1.458 Fragebögen mit Erfahrungen und Einschätzungen der Patienten zeigt eindrucksvoll zu welchen Alltagsproblemen beispielsweise der Mangel an substituierenden Ärzten führt: über zwei Stunden Fahrzeit zur Vergabe sind zum Beispiel keine Seltenheit. „Wenn Integration von Opiatabhängigen gelingen soll, dann ist die Substitutionsbehandlung ein wichtiger Bestandteil. Aber wie die Bestimmungen derzeit sind, lassen sie sich mit einem Arbeitsalltag nur schwer oder gar nicht vereinbaren“, appellierte sie an die Politik.

Diskussion: der Weg ist richtig, aber Eile ist geboten

In der abschließenden Diskussionsrunde wurden vor allem die strafbewehrten Vorschriften und die politischen Fortschritte diskutiert. Die Diskutanten waren sich einig, dass strafrechtliche Bestimmungen abgeschichtet werden müssen, damit die teilweise heute schon eklatanten Versorgungsengpässe nicht noch schlimmer werden. Nochmals betont wurde, die therapeutischen Regelungen für substituierende Ärzte vom BtMG ins Berufsrecht zu überführen. Auch reichten die dort verfügbaren Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten im Falle von therapeutischen Fehlern. Verstöße gegen geltendes Recht seien schon heute über Straf- und Ordnungsrecht zu sanktionieren. Unmut äußerten einige Ärzte über die Politik, die trotz des Konsenses über alle politischen Lager und Fachvertreter hinweg, nur langsam Reformen in die Wege leite. Die Teilnehmer nahmen das Bundesministerium für Gesundheit und die Bundesärztekammer in die Pflicht, die dringend notwendigen Änderungen von BtMVV und Richtlinien schnellstmöglich umzusetzen.

Bildquelle: Jürgen Sendel @ Pictureblind

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