Bernd Schmidt, Tierarzt der tierärztlichen Gemeinschaft Borken und Wabern, im Ratgeber Gesundheit von KHN: Zahnerkrankungen bei Hund und Katze

Tierarzt Bernd Schmidt über Vorsorge, Befund und Ratschläge bei Zahnerkrankungen von Heimtieren
Bernd Schmidt, Tierarzt der tierärztlichen Gemeinschaft Borken und Wabern, im Ratgeber Gesundheit von KHN: Zahnerkrankungen bei Hund und Katze

(Wabern, den 16.06.2011) KnowHowNow – Für meisten Menschen sind mehrere Besuche pro Jahr beim Zahnarzt kaum weg zu denken – für Vorbeuge, Behandlung oder Befund. Doch wie schaut es mit den Tieren aus, die mit uns gemeinsam unter einem Dach leben? Wer kümmert sich um ihre Zahnpflege und welche Mittel oder Maßnahmen sind sinnvoll, um den oft unterschätzten Zahnerkrankungen bei Heimtieren vorzubeugen – und was kann man bereits tun, bevor es unseren Tieren richtig tierisch weh tut?

Auf diese Mittel zur Zahnpflege und häufig gestellte Fragen wird Tierarzt Bernd Schmidt von der tierärztlichen Praxisgemeinschaft Borken und Wabern im folgenden KHN Expertengespräch eingehen.

KnowHowNow
Herr Schmidt, als Tierarzt werden Sie immer wieder vor neue Herausforderungen in der Tiermedizin gestellt. Gerade Zahnerkrankungen bei Hund und Katze sind ein häufig unaufgeklärtes Thema bei den Tierhaltern. Mit welchen Fällen haben Sie es dabei am häufigsten zu tun? Kennen Sie eine Tendenz?

Bernd Schmidt
Zum einen kann man Zahnerkrankungen bei Mensch und Haustier (Hund und Katze) durchaus vergleichen. Außer Karies, die es bei unseren Hunden und Katzen so gut wie nicht gibt, sind die Krankheiten und deren Entstehung sehr ähnlich.

Das erste Symptom, welches aber von Tierbesitzern häufig nicht als Anzeichen einer Erkrankung gewertet wird, ist Mundgeruch. Riecht ein Tier permanent aus dem Maul, ist auf jeden Fall eine ausführliche Untersuchung der Maulhöhle angezeigt. Maulgeruch entsteht durch Bakterien, die zwar normalerweise in die Maulhöhle gehören, aber die Zusammensetzung verschiebt sich hin zu krank machenden Keimen.

Diese Verschiebung wird durch Futterreste in den Räumen zwischen den Zähnen begünstigt. Diese Rest werden von den vorhandenen Bakterien verstoffwechselt. Die Nahrungsreste, die Bakterien, deren Stoffwechselprodukte und Speichelanteile bilden innerhalb von 24 Stunden einen Belag, die sogenannte Plaque. Dieser Belag nimmt dann zusätzlich Mineralstoffe auf und kann dadurch fest werden. Es entsteht Zahnstein.

Der Zahnstein ist das nächste Symptom, das jedoch durch seine Verfärbung eher auffällt. Zahnstein per se ist eigentlich nur ein kosmetisches Problem. Die eigentliche Krankheitsursache ist die Plaque. Hier sammeln sich Bakterien an, vornehmlich Anaeorbier, d.h. Bakterien, die am liebsten ohne Sauerstoff wachsen. Diese Bakterien stimulieren das Immunsystem, es kommt zur Zahnfleischentzündung. Diese Entzündung zeigt sich durch eine Rötung und Schwellung des Zahnfleischs, welches zunehmend schmerzempfindlich wird.

Das nächste Symptom, welches der aufmerksame Tierbesitzer sehen kann, ist roter Saum am Übergang zur Zahnkrone.

Durch die Schwellung des Zahnfleischs können die Bakterien sich noch viel tiefer zwischen Zahn und Zahnfleisch „verstecken“, die Entzündung weitet sich aus und greift auf den Zahnhalteapparat über. Das nennt man Paradontits. Erkrankungen des Zahnhalteapparates generell nennt man Paradontose.

Um einige Zahlen zu nennen: 80% der Hunde und Katzen über 3 Jahre leiden unter Paradontose. Das heißt 4 von 5 Tieren! Und der Prozess spielt sich in der Tiefe des Zahnfachs ab, der von außen nicht ohne Hilfsmittel zu untersuchen ist!

Eine weitere, besonders bei Katzen sehr weit verbreitete Erkrankung ist die sog. FORL. Dies ist die Abkürzung für Feline Odontoklstische Resorptive Läsion. Dabei lösen körpereigene Zellen Zahnsubstanz vornehmlich im Wurzelbereich auf.

KnowHowNow
Welche Möglichkeiten zur Vorbeuge von Zahnerkrankungen und Mittel zur Zahnpflege von Tieren gibt es – im Bezug auf Haustiere wie Hund oder Katze?

Bernd Schmidt
Da Paradontose erst nach Plaquebildung entsteht, ist die sicherste Methode zur Vorbeugung gegen Paradontose selbstverständlich das Entfernen der Plaque, bevor wichtige Strukturen zerstört werden. Und die wirksamste Methode der Plaqueentfernung ist das Zähneputzen.

Ist das nicht gewünscht oder nicht durchführbar (wobei die Durchführbarkeit sicher mit der Motivation des Besitzers / der Besitzerin steigt), ist es möglich, auf Zahnpflegeprodukte der Industrie auszuweichen. Diese Produkte werden zahlreich angeboten. Man sollte beim Kauf darauf achten, dass Wirkstoffe freigesetzt werden, die z.Calcium binden und die durch ihren Aufbau auch tatsächlich eine reinigende Wirkung beim Kauen entfalten.

KnowHowNow
Welche Risiken bergen ungesunde Zähne bei Haustieren?

Bernd Schmidt
Die Frage nach den Risiken ist für die meisten Tierhalter mit Sicherheit die wichtigste. Durch die Keimverschiebung in den Zahnfleischtaschen und – wenn die Erkrankung unbehandelt fortschreitet – in den Zahnfächern kommt es zur Lockerung des Zahnes und nach einem langen, schmerzhaften Prozess zum Zahnverlust. Das ist aber nur die offensichtliche Folge einer paradontalen Erkrankung.

Was man häufig nicht weiß, ist, dass durch die massive Bakterienansammlung im Erkrankungsgebiet diese Bakterien über die Blutbahn abgeschwemmt werden können. Diese Bakterien können dann in Niere oder Leber Infektionen auslösen. Besondere Brisanz hat die Ablagerung in den Herzklappen, was zu einer manifesten Herzerkrankung führen kann.

KnowHowNow
Was können Sie dabei an dieser Stelle unseren Lesern mit Haustier raten?

Bernd Schmidt
Es ist wichtig, aufmerksam zu sein. Schauen Sie Ihrem Tier ins Maul. Erste wichtige Anzeichen einer Erkrankung habe ich ja bereits genannt, wie Geruch aus dem Maul, rote Ränder am Zahnfleischrand sowie Zahnstein.

Und achten Sie nicht nur auf die wenigen Zähne, die Sie normalerweise sehen. Heben Sie ruhig einmal die Lippe hoch und betrachten Sie die Backenzähne. Die ersten Symptome sind eigentlich so deutlich, dass ein kurzer Blick oder besser eine Nase voll genügt.

Sind Sie sich nicht sicher, suchen Sie mit Ihrem Hund den Tierarzt Ihres Vertrauens auf.

KnowHowNow
Kann man bereits beim Kauf eines Tieres die Zahngesundheit und diverse Risiken erkennen? Wie sollte der Käufer vorgehen?

Bernd Schmidt
Zahngesundheit ist auch von den anatomischen Gegebenheiten abhängig. Da Speisereste einen nicht unerheblichen Anteil an der Entstehung von Plaque haben, ist natürlich ein Gebiss, bei dem sich weniger Speisereste ansammeln, auch weniger gefährdet.
Ein solches Gebiss haben Hunde mit langer Schnauze. Hier stehen die Zähne in ursprünglichem Abstand, mit entsprechender guter Funktion. Die Selbstreinigungsfähigkeit eines solchen Gebisses ist größer als bei kurznasigen Hunden, bei denen die Zähne oft quer stehen müssen, um überhaupt Platz in dem kurzen Kiefer zu haben.
Zudem ist ein Gebiss in einem großen, langen Kiefer besser zu putzen, als in einem kurzen Kiefer, in dem die Zähne in der Regel quer stehen.

Trotzdem schützt eine gute Anatomie nicht vor Paradontalerkrankungen. Nur sind hier die notwendigen Behandlungsintervalle eventuell länger, die Erkrankung setzt in einem späteren Alter ein.

Tierkauf ist häufig vor allem eine Herzensentscheidung, die man sicher nicht von einem Risiko zu einer Zahnerkrankung abhängig macht. Viele verschiedene Erkrankungen treten bei den verschiedenen Rassen häufig auf. Es gibt eigentlich nicht wirklich eine Hunderasse, bei der man sagen kann, hier besteht keinerlei Veranlagung eine Erkrankung zu bekommen. Diese Rassedispositionen schrecken keinen Liebhaber ab.

Umso wichtiger ist es für den verantwortungsbewussten Hundebesitzer über eine mögliche Krankheitsveranlagung (Disposition) seines Tieres informiert zu sein. Eine gute Informationsquelle ist hier sicher der Tierarzt, bei dem man sich durchaus vor der Anschaffung eines neuen Haustieres fundiert informieren lassen kann.

Zur Minimierung eines Risikos besteht auch die Möglichkeit einer Kaufuntersuchnung. Das bedeutet, der Kauf des Tieres wird abhängig gemacht von einer tierärztlichen Untersuchung.

KnowHowNow
Zahnprobleme können Haustiere und Halter natürlich auch mit der besten Pflege bekommen. Immer wieder hört man von ausgeschlagenen Hundezähnen und sogar von Zahnersatz oder Platzhaltern. Was hat es damit auf sich?

Bernd Schmidt
Natürlich sind nicht alle Zahnerkrankungen auf das Paradont beschränkt. Zahnfrakturen nach Trauma, z.B ein Autounfall, kommen natürlich vor. Die Entscheidung, welche Therapie am sinnvollsten ist, muss im Einzelfall mit dem Besitzer besprochen werden. Hier sind Kriterien wie Art und Umfang des Schadens, das Alter des Tieres und der Nutzungszweck (Familienhund, Einsatzhund der Polizei) entscheidend.

Grundsätzlich sollte man versuchen Zähne zu erhalten.

KnowHowNow
Ist Zahnersatz für Haustiere zu empfehlen? Welche Risiken bergen sich in den Zahnlücken unserer Haustiere?

Bernd Schmidt
Zahnersatz ist in der Tiermedizin nicht wirklich ein Thema. Es gibt nur wenig Indikationen, bei denen ein Zahnersatz wirklich angezeigt ist.
Zahnlücken bergen beim Tier keinerlei medizinisches Risiko. Selbst Tiere ohne Zähne sind in der Lage selbst Trockenfutter problemlos zu kauen. Die Kauleiste wird steinhart.

KnowHowNow
Sind allgemeine Unterschiede zwischen Hunden und Katzen als gängigste Haustiere zu erkennen – im Bezug auf Zahnprobleme?

Bernd Schmidt
Ja, es gibt Unterschiede. FORL ist z.B. eine Erkrankung, die hauptsächlich bei Katzen auftritt. Des weiteren breiten sich Zahnfleischentzündungen bei Katzen deutlich häufiger sehr weit aus, so dass manchmal der gesamte Rachenraum entzündet ist – „nur“ durch eine paradontale Erkrankung!

KnowHowNow
Die Werbeindustrie verspricht zahlreiche Tiernahrungsmittel, welche die Zähne reinigen und pflegen. Die meisten werden von entsprechenden Tierärzten empfohlen. Wir sind nun auf eine hiervon getrennte Empfehlung von Ihnen gegenüber KnowHowNow gespannt. Welche Produkte empfehlen Sie Hunde- und Katzenbesitzern?

Bernd Schmidt
Es gibt durchaus Produkte, bei denen eine Wirksamkeit durch entsprechende Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle ausschließlich die Zahnbürste empfehlen! Die beste Pflege ist und bleibt das Putzen der Zähne.
Das Verfüttern von Zahnpflegeprodukten kann im Einzelfall sinnvoll sein, bleibt aber immer die zweitbeste Lösung.

KnowHowNow
Gibt es noch allgemeine Hinweise für Tierhalter, welche von Ihrer Seite einer Erwähnung bedürfen?

Bernd Schmidt
Paradontale Erkrankungen lassen sich – wie beim Menschen – nicht verhindern. Durch regelmäßige Kontrolle der Zähne durch einen Tierarzt kann ein Problem frühzeitig erkannt werden. Die rechtzeitige Behandlung und Pflege des Gebisses sorgt dafür, dass die Zähne lange gesund und funktionsfähig bleiben und dem geliebten Tier Schmerzen erspart bleiben.

KnowHowNow
Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Teilnahme am KHN-Expertengespräch zur Zahngesundheit von Hund und Katze!

Bernd Schmidt ist Tierarzt der Praxisgemeinschaft Borken und Wabern in Hessen. Er steht für Beratung und Nachfrage zur Thematik persönlich zur Verfügung.

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Experten-Interview ‚Zahnerkrankung und Zahnpflege bei Hund und Katze‘, Im Gespräch Bernd Schmidt. Praxis: Aussiger Str. 3, 34590 Wabern. Tierarzt aus Wabern und Spezialist für Klein- und Haustiere, Hessen.
Interviewkennung bei Rückfragen an KnowHowNow: med/0005

Interview: Corinna Krzikalla, KnowHowNow

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